Guy Chambers: "Wenn der Milchmann mitpfeifen kann, ist es ein guter Song" (2024)

ZEIT ONLINE: Wie war es damals, mit Robbie Williams Lieder zu schreiben?

Chambers: Inspirierend. Ich sage das wirklich mit dem allergrößten Respekt als Songwriter: Rob ist nicht nur ein großartiger Texter, sondern auch ein großartiger Musiker. Ihm fallen auf sehr natürliche Weise tolle Melodien ein. Sie fließen einfach aus ihm heraus, ohne erkennbare Anstrengung. Hinzukam, dass wir beim gemeinsamen Schreiben wussten, dass sich jedes neue Album mutmaßlich besser verkaufen würde als das zuvor. Das ist ein schöner Ansp*rn und sehr befriedigend als Musiker – wenn man weiß, dass es dort draußen Menschen gibt, die mögen, was man tut. Und die darauf warten, Neues zu hören zu bekommen. Als Künstler kommt man sich oft vor, als schaffe man seine Sachen in eine regelrechte Leere hinein. Doch wenn man mit jemandem zusammenarbeitet, der derart berühmt und gut ist wie Rob, gibt es keine Leere.

ZEIT ONLINE: Robbie Williams war eine Weile der berühmteste junge Mann in Europa und Asien. Die Storys sind alle bekannt: Es ging offenbar doch erheblich wild zu.

Chambers: Das könnte stimmen.

ZEIT ONLINE: Und dann saßen Sie also zusammen, die Plattenfirma scharrte mit den Füßen, die nächste Tour musste geplant werden, die noch größer sein musste als die zuvor … Die Bedingungen, unter denen Sie beide neue Lieder schreiben mussten, klingen nicht gerade entspannt.

Chambers: Der wesentliche Druck, den ich empfunden habe, bestand darin, Rob nicht zu langweilen mit meinen Ideen. Denn er langweilt sich sehr schnell. Wenn er ein Lied nicht fühlt, gibt er auf und beschäftigt sich mit irgendetwas anderem. Der Druck bestand darin, ihn zu begeistern.

ZEIT ONLINE: Wovon war er nicht begeistert?

Chambers: Anfangs zum Beispiel von Feel. Ich hatte den Backing-Track des Songs schon aufgenommen und ihm vorgespielt, und er fand ihn sehr lange bloß deprimierend. Es stimmt ja auch, die Musik ist relativ düster. Ich habe Rob immer mal wieder an den Song erinnert, und er antwortete stets: "Der ist wirklich zu deprimierend, ich möchte dazu nicht singen." Irgendwann hat er es dann doch getan, Gott sei Dank. Er hat einen Text geschrieben, der zur Musik passte. Das ist eh schon ein großer Teil des Geheimnisses eines guten Songs – Magie entsteht erst, wenn der Text zur Musik passt.

ZEIT ONLINE: So simpel?

Chambers: So simpel.

ZEIT ONLINE: Paul McCartney war vor Kurzem bei Stephen Colbert zu Gast, und Colbert hat McCartney gefragt, was ihn eigentlich zu so einem guten Songwriter gemacht habe. Die Antwort war erstaunlich schlicht: McCartney hat es damit begründet, dass er in einem äußerst musikalischen Haushalt aufgewachsen ist.

Chambers: Richtig, sein Vater hat in einer Jazzband gespielt.

ZEIT ONLINE: Und zu Hause liefen andauernd Schallplatten. Das Geheimnis nach McCartney wäre also, dass ein guter Popsong die kollektive kulturelle Erinnerung anzapft. Auf viele der Williams-Chambers-Songs scheint das auch zuzutreffen. Sie erinnern einen an etwas, das man zu kennen glaubt. Manchmal sind es sehr deutliche Paraphrasen, bei Millennium etwa des Bond-Songs You Only Live Twice, bei Supreme ist es I Will Survive von Gloria Gaynor. Bei anderen Songs weiß man es nicht so genau.

Chambers: Richtig, ich spiele gern mit Nostalgie, keine Frage. Es gibt viele Referenzen an die Beatles, auch an The Who. Let Me Entertain You zum Beispiel ist im Grunde eine direkte Mischung aus The Who und den Rolling Stones. Bei Better Man haben wir versucht, John Lennon nachzuahmen. Ob wir erfolgreich damit waren, ist eine andere Frage. Rob und ich haben das manchmal auch ganz offen diskutiert, wenn wir loslegten: "Komm, lass uns eine Lennon-Ballade schreiben." Also ja, bei mir gibt es auch immer wieder Rückbezüge auf meine eigene Kindheit. Ich höre aber ebenso zeitgenössische Musik und übernehme ganz bewusst Elemente. Damit ich nicht völlig Retro werde.

ZEIT ONLINE: Wie geht man als Musiker, wenn der Erfolg erst einmal da ist, mit der Tatsache um, dass Dinge irgendwann nicht mehr zu steigern sind, der Erfolg zum Beispiel? Beginnt man dann, das Repetitive des Musikerdaseins stärker zu spüren – noch ein Album, noch eine Tour und immer so weiter?

Chambers: Ich kann nicht für Robbie Williams sprechen. Und bei seiner zahlenmäßig erfolgreichsten Tour war ich nicht dabei, die war im Jahr 2006. Sagen wir so: Ich habe gehört, dass es eine schwierige Tour war. Er kam mit dem Repetitiven, wie Sie sagen, nicht sehr gut zurecht. Vor zwei Jahren war ich wieder mit auf Tournee, und die war nur insofern schwierig für Rob, dass er große Rückenprobleme hatte. Rob möchte jeden Abend Roger Federer sein. Und wenn er Federer nicht hinkriegt, macht ihn das fertig.

Guy Chambers: "Wenn der Milchmann mitpfeifen kann, ist es ein guter Song" (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Ray Christiansen

Last Updated:

Views: 6382

Rating: 4.9 / 5 (49 voted)

Reviews: 88% of readers found this page helpful

Author information

Name: Ray Christiansen

Birthday: 1998-05-04

Address: Apt. 814 34339 Sauer Islands, Hirtheville, GA 02446-8771

Phone: +337636892828

Job: Lead Hospitality Designer

Hobby: Urban exploration, Tai chi, Lockpicking, Fashion, Gunsmithing, Pottery, Geocaching

Introduction: My name is Ray Christiansen, I am a fair, good, cute, gentle, vast, glamorous, excited person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.