Guy Chambers: "Wenn der Milchmann mitpfeifen kann, ist es ein guter Song"
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ZEIT ONLINE: Sie haben sich 2002 furchtbar zerstritten. Wie war es für Sie, auf einmal nicht mehr zum Kreis dazuzugehören?
Chambers: Anfangs schwierig. Ich habe meinen Rauswurf nicht gut verdaut. Es war ein echter Schock, plötzlich außerhalb der Robbie-Williams-Blase zu stehen. Denn innerhalb dieser Blase war es ziemlich gut, Privatflieger, nur die besten Hotels, jubelnde Fans, zig Millionen Plattenverkäufe. Ich habe das alles sehr vermisst anfangs, zugleich fühlte ich mich befreit. Im Jahr 2000 ist meine älteste Tochter zur Welt gekommen, und nach einer Weile merkte ich, wie schön es war, zu Hause zu sein und das Aufwachsen meiner Kinder erleben zu dürfen. Ich habe vier Kinder, und zwischen 2002 und 2014 war ich überhaupt nicht auf Tour. Wenn ich zurückschaue, bin ich dankbar: Ich habe ein ziemliches gutes Verhältnis zu meinen Kindern, sie kennen mich als ihren Vater, der immer zu Hause war. Das können viele andere Kinder nicht sagen. Ich betrachte es als Segen, so wie es gelaufen ist.
ZEIT ONLINE: Und nun arbeiten Sie wieder mit Williams. Sie beide haben die Lieder für ein Musical geschrieben, die Adaption des Kinderbuches The Boy in the Dress von David Walliams, der Dramatiker Mark Ravenhill hat die Bühnenfassung geschrieben. Im November ist Premiere. Aufgeregt?
Chambers: Tatsächlich ja, es ist auch gar nicht mehr viel Zeit bis zur Premiere, und ehrlich gesagt ist alles noch nicht so richtig fertig. So ein Musical ist ja wirklich eine komplexe Sache. Es sind sehr viele Gewerke beteiligt, Choreografie, Kulissen, Kostüme ... Aber die Besetzung steht, die Proben laufen. Es wird.
ZEIT ONLINE: Wie klingt die Musik?
Chambers: Es gibt Referenzen an Robs erstes Soloalbum, an unsere erste Zusammenarbeit. Als wir die neuen Lieder schrieben, haben wir uns vorgestellt, dass das Musical in den Neunzigerjahren spielt. Wir stellten uns eine Zeit vor, in der es noch keine Smartphones gab.
ZEIT ONLINE: Wie ist es zu dem Musical gekommen?
Chambers: David Walliams, der durch seine Rolle in der Comedy-Show Little Britain in Großbritannien fast ebenso berühmt ist wie Rob, kam in mein Studio, um ein Duett aufzunehmen für eine Weihnachtssendung. Eher im Vorbeigehen sagte er: "Ich mache da dieses Musical mit der Royal Shakespeare Company, könntest du dir vorstellen mitzumachen?" Kurze Zeit später bekam ich einen Anruf. Erst sollte ich die Musik allein schreiben, aber bald merkte ich, dass ich Rob dazu brauchte. Die Musik würde besser, das spürte ich, wenn Rob und ich sie zusammen schrieben.
ZEIT ONLINE: Sie beiden treten aber nicht auf in der Inszenierung?
Chambers: Nein, nein, nein … Das Musical spielt in einer Schule, es geht vor allem um die Kinder. Ganz ehrlich: Das Stück ist so gut, es braucht nicht noch einen Auftritt von Robbie Williams.
ZEIT ONLINE: Wie sieht ein Tag im Leben eines Millionenhitschreibers heute aus, zwei Jahrzehnte später?
Chambers: Ich schreibe immer noch Songs.
ZEIT ONLINE: Wie genau?
Chambers: Ich setze mich ans Klavier und übe. Nach einer Weile langweilt mich das Spiel, dann beginne ich zu improvisieren, und manchmal fällt mir etwas Gutes dabei ein. Dann gehe ich in mein Studio in Ladbroke Grove und nehme es auf. Aber meistens ist das Studio vermietet, es ist zum Glück ganz beliebt in London.
ZEIT ONLINE: Und mit anderen Musikern als Robbie Williams schreiben Sie keine Lieder mehr?
Chambers: Nicht mehr so häufig, richtig. Höchstens wenn sich besondere Gelegenheiten ergeben, dann fühlt es sich auch gleich wieder aufregend an.
ZEIT ONLINE: Sie wohnen in London, und Robbie Williams lebt immer noch in Los Angeles, korrekt? Er kommt dann also eingeflogen.
Chambers: Er wohnt hier und da. Mehr darf ich nicht sagen.
ZEIT ONLINE: Er kommt also von irgendwoher bei Ihnen im Studio in London vorbei.
Chambers: Exakt. Wir haben dort weite Teile seines neuen Albums aufgenommen.
ZEIT ONLINE: Das wann erscheint?
Chambers: Darf ich nicht sagen. Es wird verkündet, sobald es Zeit ist.
ZEIT ONLINE: An welchem Punkt sehen Sie sich als Künstler heute, Mister Chambers?
Chambers: Ich betrachte mich als jemand, der tatsächlich in erster Linie gerade Musicals schreibt. Ich sitze auch mit Lily Allen an einem.
ZEIT ONLINE: Über das Sie nichts sagen dürfen.
Chambers: Natürlich nicht. Nur dass es etwas völlig anderes ist als The Boy in the Dress. Das Musical mit Lily Allen ist wesentlich moderner, die Musik ist elektronischer. Es hat etwas Dystopisches. Wir arbeiten seit etwa einem Jahr daran. Es braucht Zeit. Aber ja, ich beschäftige mich als Künstler nun mit umfassenderen Dingen, bei Musicals erschafft man ja eine eigene Welt aus Musik, die einen ganzen Abend tragen muss. Ich mag das. Songschreiben ist schön. Aber mehr als nur Songschreiben ist schöner.